Ü50 und jetzt?

Ü50 und jetzt
Ü50 und jetzt

Als ich die Blogparade: „Für was sind Frauen ab 50 überhaupt noch gut?“ von Mia Brummer entdeckt habe, dachte ich, das ist ein Thema, das kann ich locker runterschreiben.

Aber dann habe ich gemerkt, wie sehr mich das doch im Innersten beschäftigt. Wie sehr es mich zwingt, über meine Ängste und den Selbsthass nachzudenken, den ich sonst möglichst ausblende. Ziehen wir also Bilanz.

Mit Ü 50 ist man alt


Das ist das Erste, was mir hier einfällt. Ich bin zwar noch nicht 80, aber manchmal kommt es mir so vor.

Mein Mann hat z.B. keine älteren Verwandte mehr. Er ist also die älteste Generation in seiner Familie. Jetzt müssen wir nur noch Großeltern werden, was in den nächsten Jahren durchaus denkbar ist, und wir sind per Definition alt.

Natürlich ist 50 zunächst eine Zahl, die wenig aussagt. Ein halbes Jahrhundert. Ist das jetzt viel? Wenn man an die Queen denkt, dann eher nicht. Als Frau in dieser Zeit und dieser Gesellschaft ist es wahrscheinlich, dass ich noch Jahrzehnte vor mir habe. Bin ich jetzt also alt oder nicht?


Ich weiß eben nicht, wie lange ich noch leben werde. Das wusste ich noch nie, aber mittlerweile gehe ich immer öfter auf Beerdigungen von Leuten in meinem Alter. Damit rückt diese Frage doch in den Fokus. Und sind wir ehrlich, wir haben alle Angst vor dem Tod.


Zumindest vor Schmerzen und Verfall.


Man hat immer mehr gesundheitliche Probleme, man ärgert sich, weil der Körper nicht mehr so funktioniert. Das Liebesleben ist abgekühlt und wenn man nicht aufpasst, wird man depressiv.


Was mir auch auffällt: Ich sehe die Zeit verrinnen. Wenn ich sinnlosen Debatten zuhören muss, wenn ich den Tag vertrödelt habe, dann bekomme ich Angst um meine letzten wertvollen Tage. Es wird einem bewusster, dass die eigene Lebensspanne endlich ist.

Ü50 – Zeit, eine Lebensbilanz zu ziehen

Mit fünfzig hat man vielleicht das letzte Mal die Chance, noch etwas Grundlegendes in seinem Leben zu ändern. Daher drängt sich eine Bilanz geradezu auf.

War das, was ich bis jetzt gemacht habe, wirklich das, was ich wollte?

Vielleicht ärgert man sich, weil man zu lange die falschen Dinge getan hat. Weil man sich zu wenig um seinen Körper gekümmert hat und nun den Schaden hat. Über das, was man verpasst hat. Diese Erkenntnis hatte ich zum Glück schon früh:

Man bereut am meisten die Dinge, die man nicht getan hat.


Jetzt ist der Moment, an dem man erkennen muss, dass sich manche Träume nicht mehr verwirklichen lassen.

Aber hier bieten sich auch Chancen.

Ich darf manche Ansprüche hinter mir lassen. Zu anderen Zeiten und in anderen Ländern wäre ich schon längst tot.

Ich nenne das den Bonustrack des Lebens.

Das Soll ist erfüllt, die Rush hour ist vorbei. Jetzt mache ich mich auf die Suche nach dem Wesentlichen im Leben. Ich habe Erfahrung gesammelt, ja eigentlich sogar verschiedene Lebensmodelle ausprobiert. Schließlich bin ich älter als das Internet. Ich kenne noch ein anderes Lebensmodell, langsamer, ohne den Informationsüberfluss, den wir jetzt haben.


Doch wer ist dieses Ich, das jetzt Ü50 ist?

Ich sehe nicht mehr so aus, wie ich mich in Erinnerung habe. Behalte ich meinen Stil, dann sehe ich alt aus. Also ändere ich meinen Stil und meine Beauty-Routinen.

Doch wer will ich jetzt sein? Was passt zu mir, zu meinem Alter? Wenn ich zu modern werde, verliere ich meine gleichaltrigen Freunde. Bleibe ich in meinem alten Trott, dann werde ich zum Boomer.

Ich hasse (Ü50) Boomer und damit mich selbst

Dieser Hass hat eine eigene Überschrift verdient. Er springt mir entgegen, wenn ich andere Menschen in meinem Alter oder älter sehe, und er richtet sich auch gegen mein Spiegelbild.

Tauchen wir mal tief in den Sumpf und schauen dann im nächsten Abschnitt, woher das kommen könnte.


Ich habe Hängebäckchen und einen Hängebauch. Meine Augenlider hängen auch. Alles nichts, womit ich im Kampf gegen die Schönheiten in den Medien bestehen kann.

Jeder Blick in den Spiegel sagt mir, dass ich alt bin und nicht mehr mitspiele im Rennen um Erfolg und Anerkennung.

Ein Teil von mir erinnert sich, wie ich das hässliche Entlein in der Schule war. An die Mobber und den Selbstzweifel. Und ein Teil von mir sieht schon die Totenmaske im Spiegel.

Dann kommen noch die körperlichen Beschwerden, und schon ist man eine sich selbst hassende klimakterische Kuh, die den ganzen Tag jammert. Ich denke, jede und jeder kennt diese Tage. Da hängt man einfach rum und hasst sich selbst.


Warum aber reagiere ich wütend, wenn ich Leute Ü50 oder älter sehe?

Weil wir die Generation sind, die es verkackt hat. Die den Planeten heruntergewirtschaftet hat, obwohl sie es besser wusste. Die den Jugendlichen die Butter aufs Brot nicht gönnt. (Hat man in der Pandemie gesehen). Die ihre Gewohnheiten zelebriert und zu einen guten Teil den Anschluss an die digital natives verloren hat.


Ein paar Tage auf Tiktok und unter jungen Leuten, die sich nicht für uns Alte verstellen und ich verstehe meine Altersgenossen nicht mehr.


Nicht die alten weißen Männer, die ihre Bedeutungslosigkeit nicht verkraften können und jetzt jeden nieder machen, der anders ist als sie.

Die »Karens« die über alles meckern müssen. Die „in meiner Jugend war auch nicht alles schön“ antworten, wenn man sie auf ihren irrsinnigen Ressourcenverbrauch und die Folgen für die nächsten Generationen anspricht.


Ich weiß, die Jugendlichen sind auch nicht alle CO2-neutral. Aber man muss ja nicht gleich so bockig auf alles reagieren.


Du siehst, ich komme hier in Fahrt.


Was also tun, wenn man Ü50 ist? Verzweifeln, bocken oder die eigenen Erfahrungen nutzbringend einsetzen?


Ich versuche hier auf dem Blog und in meinen Geschichten das Letztere. Und dazu gehört eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik.

Welche Gesellschaft will ich nach Ü50 Jahren Erfahrung?

Je älter ich werde, desto öfter ist es mir einfach egal.

Die Stimme in mir, die mir suggeriert, ich sei nicht genug, ist nicht meine eigene.

Ich erkenne, was mir die Werbung täglich erzählt: dass ich mit diesen Falten auf der Haut eine Zumutung für meine Umgebung bin und deswegen unbedingt diese teure Creme kaufen muss.

Mir wird klar, dass mein Spiegelbild nie mit den ganzen manipulierten Fotos von Topmodels mithalten kann. (Ich sehe ja nicht mal aus wie auf meinen eigenen Fotos!).

Also kann ich immer öfter an den Schönheitsprodukten, den figuroptimierenden Klamotten und allem anderen, was ich angeblich konsumieren muss, einfach vorbei gehen.


Ich muss mich nach einem bescheuerten Tag nicht mehr mit den Versuchungen aus den drei Gängen Süßigkeiten im Supermarkt trösten.


Das ist eine Form von Freiheit, die man sich leider jeden Tag erkämpfen muss. Welche Gesellschaft würde ich also haben wollen? Was wünsche ich meinen Kindern?
Eine, in der jede Person genug ist, so wie sie ist.

Egal welche Kleidergröße, welche Hautfarbe, welche sexuelle Orientierung und wie groß der Geldbeutel ist. Und natürlich auch, egal wie alt.

Doch wenn wir das zu Ende denken, dann gibt es keinen Grund mehr, für Dinge, die man nicht braucht, Jobs zu machen, die man nicht will.

Es wäre dann auch nicht mehr ehrenvoll, sich in den Burnout zu arbeiten, nur damit man sich eine Woche Yoga-Retreat in Bali leisten kann.


Und wenn wir aufhören, uns als mangelhaft zu sehen, könnten wir aufhören, diesen Mangel durch Konsum zu stopfen oder die anderen zu hassen.


Unser Planet und unsere Mitmenschen würden es uns danken.

Wie siehst du das? Ist der fünfzigste Geburtstag für dich ein relevantes Datum?

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