Warum »nur 10 Minuten täglich« auch keine Lösung ist

Zeitmanagement Autor_innensonntag
Warum nur 10 Minuten täglich auch keine Lösung ist

Wir haben ständig zu wenig Zeit. Aber das liegt natürlich an uns, weil wir unsere 24 Stunden am Tag nicht richtig nützen. Wir müssten uns nur auf das fokussieren, was uns wichtig ist, dann können wir alles erreichen.


Also suchen wir im Internet nach dem nächsten Zeitmanagement-Tool und stoßen früher oder später auf die Sache mit den täglichen 10 Minuten. Nur 10 Minuten täglich und du sprichst bald fließend spanisch. Nur 10 Minuten täglich und du hast den perfekten Waschbrettbauch.


Wem die Welt zu hektisch ist, muss doch nur 10 Minuten täglich meditieren, und den Rest des Tages wandern wir grundsatzentspannt wie ein tibetischer Mönch durch den Tag.


Ich halte die »nur 10 Minuten« Technik für ein gefährliches Terrain.


Aber schauen wir uns das genauer an.

1. Sind 10 Minuten wirklich 10 Minuten?

Vielleicht hast du schon einmal von der Rüstzeit gehört. Damit wird die Zeit benannt, die man benötigt, um eine Tätigkeit überhaupt ausüben zu können.

Wenn jemand z.B. einen Text am PC schreiben will, so muss er diesen erst hochfahren, das Dokument öffnen, sich wieder in das Thema hineinfinden. Und im Zweifelsfalle das ganze Prozedere beim Beenden wiederholen.

Der Siegeszug der Smartphones liegt für mich auch in der Tatsache begründet, dass es dort schneller geht, etwas zu erledigen, weil man kaum Vorbereitungszeit hat.
Aber dennoch muss man die Zeit realistisch mit einrechnen.

Selbst wenn ich mir nur eine 10-Minuten-Meditation anhöre, brauche ich ein paar Minuten, bis ich einen geeigneten Platz aufgesucht habe, vielleicht muss ich der Familie noch Bescheid sagen, dass sie mich nicht stören. Ich schaue, ob ich den Herd ausgeschaltet habe und schließe das Fenster.


Diese Zeit wird aber oft nicht mit einberechnet. Und dann wundert man sich, warum man doch nicht dazu kommt.

2. Wie viele 10 Minuten-Programme passen in einen Tag?

Wir wollen ja vielleicht nicht nur Spanisch lernen, sondern auch noch Yoga machen, mehr Selbstgekochtes essen, endlich den Pullover fertig stricken und so weiter.
Das sollte trotzdem machbar sein.

Aber wenn der Tag schon bis zum Überlaufen mit Pflichtprogramm vollgepackt ist, kann es schwierig sein, regelmäßig eine halbe Stunde rauszuschlagen.

Die »nur« 10 Minuten verleiten dazu, diese Kleinigkeiten nicht in unserer Tagesplanung zu berücksichtigen.

Das klappt natürlich immer mal wieder, aber es will sich keine Kontinuität einstellen und irgendwann gibt man es aus Frust am Ende auf.

3. Wie viel Willenskraft hast du für den ganzen Tag?

Wir müssen für alles, was wir aktiv machen, ein Stück Willenskraft aufbringen. Je weniger wir die Tätigkeit mögen, desto mehr braucht sie davon auf.

Aber auch Dinge, die uns wirklich wichtig sind, verlangen Entscheidungen.

Und um diese zu fällen, brauchen wir diese magische Kraft. Leider ist die endlich.

Und so kommt es, dass wir uns eben nicht dazu aufraffen können, noch eine Runde Yoga zu machen, obwohl wir wissen, dass es uns so gut täte.

Stattdessen hängen wir auf TikTok oder Instagram, bis uns der Schlaf übermannt.

Daher solltest du alles, was dir wirklich wichtig ist, morgens erledigen.

Vielleicht nicht gleich beim Aufstehen, wenn du kein Morgenmensch bist, aber dennoch so bald wie möglich.

Die Dinge, die man für sich selbst tut, immer auf den Abend zu verschieben, heißt oft, sie auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.


Wenn du also Pläne machst, denke bei der Priorisierung auch daran. Auch für die nur 10-Minuten-Punkte.

4. Gewohnheiten brauchen Zeit

Das Problem mit der Willenskraft kann man ein Stück weit umgehen.

Wie ich oben erklärt habe, frisst es vor allem das immer wieder aufraffen Energie.

Eingefleischte Routinen hingegen laufen automatisch und ohne diesen Kraft fressenden Entscheidungsschritt ab.

Nur, wie kommst du zu so einer Regelmäßigkeit?


Hier gibt es ausreichend Artikel im Internet und passende Bücher.

Was mir nur wichtig ist: Denk daran, dass man mehrere Wochen braucht, um so eine Gewohnheit zu erlangen.

Und selbst dann ist sie immer noch wackelig und kann bei der kleinsten Veränderung deines Lebens wieder verschwinden.


Das heißt also: Wähle gut aus, welche dieser Routinen dir so wichtig ist, dass du da über Monate diszipliniert jeden Tag dran denkst und dir genug Energie dafür reserviert hast.

5. Energiemanagement statt Zeitmanagement

Du siehst, es geht hier nicht nur um die fehlende Zeit. Die haben wir meistens, auch wenn es nur Zeitkonfetti ist.

Was wir aber nicht haben, ist Energie.

Wir müssen mal einfach nichts tun, planlos durch den Tag schlendern, unorganisierte, freie Zeit haben. Ohne dem werden wir von uns selbst abgeschnitten und funktionieren irgendwann nur noch.


Plane realistisch.

Ein Tag, an dem du alles auf die Reihe bekommst und noch zwei Extras von deiner To-do befreit hast, ist ein absoluter Wundertag.

Das ist nicht so, wie ein Tag zu sein hat!

Das ist kein Maßstab für dein Leben, sondern eine Ausnahme.

Fange beim Planen mit einem Tag an, an dem du gemütlich durch deine Aufgaben marschierst und auch mal die Muße hast, einfach dumm in den Himmel zu schauen.


Du wirst sehen, auf die lange Sicht gesehen, bekommst du so sogar mehr von der Hand.

6. Setze deine eigenen Ziele

Nicht immer wissen wir, welche hübsche 10-Minuten-Gewohnheit wir selbst einführen wollen und welche uns nur über die (sozialen) Medien und unser anerzogenes Minderwertigkeitsgefühl eingeredet wird.

Gerade die scheinbare Mühelosigkeit, die hinter der Werbung für die ganzen 10-Minuten-Routinen steckt, suggeriert uns, dass wir hier auf einfache Weise endlich all unsere Fehler beheben können.

Sieh genau hin.

Über echten Erfolg kannst du hier weiterlesen.

7. Du bist nicht mangelhaft

Gerade im Selfcare-Bereich gibt es viele dieser »nur 10 Minuten« Tipps.

Wir meinen, wenn wir jeden Tag ein paar Minuten für Meditation oder eine kalte Dusche herausschlagen, dann bekommen wir unser Leben endlich in den Griff.


Doch das ist nicht der Fall.

Selfcare, die nur dazu dient, dass du ausdauernder im Hamsterrad läufst, ist keine Selbstfürsorge.

Die Norm in unserer Gesellschaft ist der weiße, cis-hetero Mann mittleren Alters mit guter Ausbildung, finanzieller Unabhängigkeit ohne Behinderungen oder Krankheiten und einer Frau, die ihm den Rücken frei hält, so dass er all seine Kraft und Energie in seine Karriere und seine Leistungsfähigkeit stecken kann.

Wenn du nur einen Punkt auf der Liste nicht erfüllst, kannst du so viele Optimierungstechniken anwenden, du wirst nie gut genug sein.
Such dir Mitstreiter_innen, die mit dir echte (Selbst-) Fürsorge betreiben. Bei denen du dich angenommen fühlst, so wie du bist und nichts mehr optimieren musst.

Wie gehst du mit deinem Zeitbudget um? Hast du gute Gewohnheiten?

Weiterführende Literatur /Links:

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