Schreibe ich feministisch?

Feministisch schreiben Feminismus Intersektionalität  toxische Maskulinität Gendern

Auf diese Frage beim #Autor_innensonntag war mein erster Reflex:

Natürlich schreibe ich so,

  • Weil ich gegen strukturelle Benachteiligung bin.
  • Weil ich für eine respektvolle Behandlung aller Menschen bin.
  • Weil ich sozialkritische Bücher und Texte schreibe.
  • Weil ich eine Frau mit der entsprechenden Lebenserfahrung bin.

Doch erreiche ich meine Ziele, indem ich feministisch schreibe?

Und was genau verstehe ich unter feministisch schreiben?

Was bedeutet Feminismus für mich?


Schauen wir zunächst, was Wikipedia als Definition anbietet.

»Feminismus (über französisch féminisme abgeleitet von lateinisch femina ‚Frau‘ und -ismus) ist ein Oberbegriff für gesellschaftliche, politische und akademische Strömungen und soziale Bewegungen, die, basierend auf kritischen Analysen von Geschlechterordnungen, für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts sowie gegen Sexismus eintreten und diese Ziele durch entsprechende Maßnahmen umzusetzen versuchen. Daneben verweist Feminismus auf politische Philosophien, die – über einzelne Anliegen hinaus – die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse, einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung und der Geschlechterverhältnisse im Blick haben. Gleichzeitig erlauben sie Deutungen und Argumente zur Gesellschaftskritik.«

https://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus

Feminismus ist also eine komplexe Idee, die mehr als nur Gleichstellung der Geschlechter umfasst. Es geht darum, das Patriarchat zu bekämpfen, das auf vielen Ebenen vorhanden ist.

Schauen wir uns die einzelnen Ebenen doch ein bisschen genauer an. Wenn ich als weiße cis Heterofrau, deutsch und mit Hochschulabschluss und einem gesicherten Einkommen auf die Frage blicke, kommt etwas anderes raus, als wenn das eine schwarze Frau mit Behinderung macht. Das Stichwort hier ist Intersektionalität.

Intersektionalität


Intersektionalität ist eine zentrale Idee in der feministischen Theorie, die besagt, dass verschiedene Formen der Unterdrückung nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen und verstärken.


Wenn ich z.B. viel Geld habe, dann kann ich mit einer Behinderung leichter umgehen, als es eine Person könnte, die die finanziellen Möglichkeiten z.B. für einen Rollstuhl oder eine Pflegekraft nicht hat.


Intersektionalität macht den Kampf um feministische Gerechtigkeit ein Stück komplizierter, weil ich je nach Konstellation einmal die Diskriminierte, einmal Mitglied der Gruppe bin, die von der Diskriminierung anderer profitiert.
Die Idee des intersektionalen Feminismus ist, dass jede dieser Identitäten bestimmte Erfahrungen hervorruft und auf bestimmte Weise strukturelle Ungerechtigkeit verstärkt. Intersektionaler Feminismus sucht deshalb nach Lösungen, die alle diese Ebenen berücksichtigen.

Für mich ist es wichtig, immer wieder meinen eigenen Hintergrund zu durchleuchten und darauf zu achten, dass ich alle Menschen in meinem Engagement mitnehme und nicht die einen gegen die anderen ausspiele. Eine dieser Kampflinien ist der Umgang mancher Feministinnen mit den Transfrauen.

FLINTA vs. TERF


Beides sind Abkürzungen und bedeuten jeweils das Folgende:
FLINTA: Sammelbezeichnung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans- und agender Personen

https://de.wikipedia.org/wiki/FLINTA*


TERF steht für englisch Trans-Exclusionary Radical Feminism („Trans-ausschließender radikaler Feminismus“)

https://de.wikipedia.org/wiki/TERF


Während also Flinta eine inkludierende Selbstbezeichnung ist, d.h. die Menschen, die so genannt werden, bezeichnen sich auch selbst so, ist Terf ein Bezeichnung durch andere für die Feministinnen, die Transfrauen nicht als Frauen definieren und daher nicht von ihrem Aktivismus umfasst sehen. Zum Teil wird dieser Begriff als Kampfbegriff oder gar als Beleidigung gesehen.


Wie du aus meinen Ausführungen über Intersektionalität entnehmen konntest, bin ich immer für die inkludierende Variante. Transfrauen auszuschließen und damit zu diskriminieren, ist für mich das gleiche Prinzip wie das des Patriarchats, wenn es darum geht, Frauen auszuschließen.
Und deshalb fühle ich mich beim Ausdruck »Flinta« gemeint.

Das bedeutet aber jetzt für mein Schreiben nicht, dass ich nur noch „Flinta“ verwende. Ich versuche vielmehr, genau den Begriff zu finden, der die gemeinten Personen bestmöglich abbildet.
Flinta ist für mich eine progressive, wertschätzende und respektvolle Haltung gegenüber allen Geschlechtern, die eine echte Chance auf Gleichstellung bietet.

Hass auf Männer oder toxische Maskulinität


Diese respektvolle Haltung gegenüber allen Geschlechtern bedeutet dann natürlich auch Respekt und Verständnis gegenüber den Männern. Das ist aber für beide Seiten nicht so leicht, solange Männer auf Grund eines vermeintlichen Vorteils auf den Strukturen des Patriarchats bestehen. Wir sprechen hier dann von toxischer Maskulinität.


Als Feministin hilft es nichts, Männer als Gruppe zu hassen, um dagegen vorzugehen. Stattdessen liegt die Verantwortung für den Kampf gegen toxische Maskulinität auch bei den einzelnen Männern selbst. Indem sie sich selbst und andere dazu ermutigen, über ihre Gedanken und Gefühle zu reden und diese zu äußern, können sie die Vorstellungen überwinden und zu einem gesünderen Verhalten finden.


Feministisch schreiben heißt für mich also nicht nur, ein Verständnis für die Gefühle und Erfahrungen von Frauen in unserer Gesellschaft zu fördern, sondern auch, Männern zu helfen, ein besseres Leben zu führen.


Dazu ein ganz konkretes Beispiel mit klassischer Rollenverteilung, d.h. die Frau betreut die Kinder und den Haushalt und der Mann bringt das Geld nach Hause.

Das funktioniert, so lange das Einkommen des Mannes für das Familieneinkommen ausreicht und der Mann seinen Beruf ausüben kann, ohne daran körperlichen oder psychischen Schaden zu nehmen.

Ist er dazu aber nicht in der Lage, weil er zum Beispiel aus finanziellen Gründen einen Beruf ergreifen musste, den er eigentlich von seinen Fähigkeiten und Interessen nur schlecht ausüben kann, so stellen sich für ihn eine Reihe von Problemen.

Zum einen die genannten gesundheitlichen Gefahren. Dann das ständige Risiko, die Stelle wegen der Überforderung zu verlieren.


So wird vielleicht ein sehr introvertierter Mann auf einen Posten befördert, auf dem er viel vor Publikum sprechen muss. Er kann die Position möglicherweise nicht ablehnen, da er ja auf das Einkommen angewiesen ist und eine ähnlich bezahlte Stelle nicht verfügbar ist.

Also steht er unter ständigem Stress. Er wird sich, da er ja als klassischer Mann keine Hilfe bei einem Psychologen suchen darf, mit anderen Mitteln zu helfen versuchen. Das Entspannungsbier, Aggressivität oder Ähnlichem.


In einer partnerschaftlichen, also dem feministischen Modell entsprechenden Ehe hätte er andere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. Wenn beide Partner zu Einkommen beitragen, ist auch ein Jobverlust nicht mit dem völligen Wegfall des Lebensunterhalts verbunden.


Er kann sich einen anderen, möglicherweise schlechter bezahlten Job suchen, er könnte komplett zu Hause bleiben, wenn sich die Frau für eine Karriere entscheidet.


Alles in allem gibt ihm diese Konstellation die Möglichkeit, nach einer Lösung zu suchen, die für ihn und seine Familie gesund und tragfähig ist.


Ich möchte mit meinen Texten einen (Vorstellungs-)Raum schaffen, der es Männer erleichtert, sich über ihre Gefühle zu äußern und ein gesundes Verhältnis zu sich selbst und zu anderen zu entwickeln. Durch die Unterstützung von Männern können wir den Kampf gegen toxische Maskulinität gewinnen und eine Welt schaffen, in der alle Personen, egal welchen Geschlechts, mit Würde und Respekt behandelt werden.

Gendern


Wie gehe ich dieses Projekt an? Ist es damit erledigt, dass ich einfach alles gendere? Ich möchte jetzt nicht tiefer in die feministische Linguistik einsteigen, sondern mich auf das Thema Gendern beschränken. (Wer sich da näher einarbeiten möchte, Literaturhinweis am Ende des Artikels)


Ich finde mich hier, wie alle anderen Schreibenden (und Sprechenden) auch, in einem Dilemma.

Warum ich gendern wichtig finde, möchte ich erst einmal mit einem kleinen Rätsel erklären:
»Doktor Müller aus Hamburg hat einen Bruder in Berlin, Professor Mayer. Professor Mayer hat aber keinen Bruder in Hamburg.«


Wenn ich das Rätsel Menschen vorlege, die nicht gendern, dann bekomme ich die wildesten Vermutungen, von adoptiert, weggezogen oder einfach »Keine Ahnung.«


Menschen, die gendern, erkennen das Problem. Bei Doktor Müller ist die Frau eben nicht mitgedacht. Denn natürlich handelt es sich ganz banal um die Schwester von Professor Mayer.


Deshalb ist es wichtig, beide Geschlechter sichtbar zu machen. Beim generischen Maskulinum wird die Frau nicht eingeschlossen.


Die Frage ist nur: Wie mache ich das, ohne das der Text leidet?


Wenn ich eine Ansprache im Rahmen meiner politischen Tätigkeit mache, dann wäre die korrekte, gegenderte Variante:
»Liebe Truderinger und liebe Truderingerinnen.«
Und sorry, beim letzten Wort hat meine Zunge einen Knoten. Ich könnte mir jetzt mit einem Sternchen behelfen, was aber für mich immer die schlechtere Version ist.
Ich mache das, wenn mir nichts Besseres einfällt.


Als Schriftstellerin habe ich den Anspruch, so lange nach dem passenden Wort oder der passenden Wendung zu suchen, bis ich das Gefühl habe, meine Gedanken in eine ansprechende Form gebracht zu haben.


Was mir im Moment am besten gefällt, sind alle Partizipien, die ich verwenden kann. Also »die Schreibenden«. Oder gleich neutrale Begriffe wie die Lehrkraft.

Bei kurzen Bezeichnungen (die ich ja im Zweifelsfalle genau nach ihrer Kürze ausgewählt habe), spreche ich dann beide an. Zum Beispiel der Leser und die Leserin. Das bietet sich meist dann an, wenn es sich nicht um eine Gruppe von Menschen handelt und ich den Singular-Artikel verwenden muss.


Natürlich macht das meinen Schreibprozess aufwendiger. Aber ich habe ja beim Schreiben die Intention, alle Menschen anzusprechen und die Ungerechtigkeiten unseres Gesellschaftssystems aufzubrechen. Womit wir beim Patriarchat wären.

Patriarchale Gesellschaften im Roman


Werfen wir einen kurzen Blick auf die Definition:


»Patriarchat (wörtlich „Väterherrschaft, Vaterrecht“) beschreibt in der Soziologie, der Politikwissenschaft und verschiedenen Gesellschaftstheorien ein System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird. Gleichbedeutend ist die wenig gebräuchliche Neubildung Androkratie, wörtlich „Herrschaft des Mannes“ und bezeichnet eine Form der Strukturellen Diskriminierung.«

https://de.wikipedia.org/wiki/Patriarchat_(Soziologie)



Ich möchte hier jedoch gar nicht über das Patriarchat als Solches sprechen. Ohne ins Detail zu gehen, hat es einige klare Vorteile für die Gesellschaft als Ganzes, von denen auch die Frauen profitieren. Sonst hätte es sich nicht so lange und in so vielen Gesellschaften gehalten.


Dennoch sind wir uns vermutlich einig, dass die Nachteile insbesondere für die Frauen gravierend sind und es dringend Veränderungen geben muss.


Hier sehe ich mich als Romanautorin gefragt. Gerade im Fantasybereich habe ich die Möglichkeit, und damit die Pflicht, alternative Gesellschaftsformen zu zeigen und zu diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch die ständige Wiederholung der immergleichen Geschichten auch unser Weltbild zementieren. Literatur in ihrer besten Form lässt uns als Menschen und als Gesellschaft wachsen.
Eine Utopie kann zur Realität werden, wenn nur genug Menschen von ihrer Qualität überzeugt sind.

Frauenbilder oder wie sieht die richtige Protagonistin aus?


Während das Schreiben über das Patriarchat ja eher die gesellschaftliche Ebene betrifft, sind auch die Frauen in meinen Texten ein Bereich, in dem man alternative Lebensrealitäten zeigen kann.


In einem Roman kann ich Frauen zeigen, die sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen und Wege finden, ein gutes Leben für sich und andere zu leben. Diese Frauen haben Schwächen und Stärken, die vielleicht in unserer Kultur nicht akzeptiert oder unüblich sind. Sie gehen damit auf ihre Weise um und sind ein Vorbild für die reale Leserin.


Auch hier auf dem Blog porträtiere ich Frauen, die mich beeindrucken wegen ihrer Art, Lösungen für die drängenden Probleme dieser Welt zu finden, anstatt sich dem kapitalistischen und patriarchalen Diktat der ewigen Schönheit zu unterwerfen.


Es ist mir wichtig, klarzustellen, dass die Verbesserung unserer Welt nicht durch das Individuum geschehen kann, weder durch den einzelnen Mann noch durch die einzelne Frau. Denn das führt nur dazu, dass sich alle ständig ungenügend und »sündig« fühlen, anstatt sich zu vernetzen, und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Fazit: Schreibe ich feministisch?


Ich verstehe Feminismus als Denkweise, die darauf abzielt, alle Menschen, egal welchen Geschlechts, welchen Alters oder sonstiger Differenzen, als wertvoll und gleichberechtigt anzusehen.

Unter dieser Prämisse schreibe ich feministisch.

Ich möchte einen Beitrag leisten zu einer besseren Welt, in der alle Menschen in Würde leben können.

Und deshalb schreibe ich Romane.

Deshalb blogge ich.

Immer mit einem feministischen, antirassistischen Anspruch.


Jede Form von Diskriminierung ist mir zuwider, wobei ich mir im Klaren bin, dass ich auf Grund meiner Prägungen und der menschlichen Schwäche der Vereinfachung oft genug diskriminiere.

Ob mir das auch in der Langstrecke gelingt, kannst du bei meinem Roman „Das Frühlingsfenster“ überprüfen.


Doch ich glaube, wenn man ein Ideal hat, dann schreibt es sich leichter. Dann werden die Texte klarer und die Lesenden wissen, was sie zu erwarten haben.

Wie ist das bei dir? Schreibst du selbst feministisch? Oder liest du Texte, bei denen auf so etwas geachtet wurde?

Literaturtipps

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