Warum wir den Begriff Klassismus brauchen.
(Die Zahlen in Klammern geben jeweils die am Ende des Textes genannte Quelle an)
Noch ein -Ismus?
Rassismus, Sexisimus, Ableismus.
Brauchen wir jetzt mit Klassismus wirklich noch einen Begriff, um Diskriminierung und soziale Schwierigkeiten zu erkennen?
Ist Klasse überhaupt noch eine Kategorie, die auf unsere Gesellschaft angewendet werden kann? Ich meine, wir müssen dringender denn je über Klassismus sprechen.
Schauen wir uns das näher an.
Klassismus ist ein schwieriger Begriff
Ich bin mit dem Begriff »Klassismus« nicht ganz zufrieden. Er wird, wie auch »Rassismus« dadurch gebildet, dass man die Kategorie, anhand der diskriminiert wird, zum Ausgang nimmt. Wenn also »Rasse« als Unterscheidungskriterium verwendet wird, das dann zur Abwertung eines Menschen führt, dann ist der Vorgang eben »Rassismus«. Und wenn die Einordnung in eine gewisse »Klasse« als Diskriminierungsgrund vorliegt, dann bilden wir den Begriff »Klassismus«.
So weit, so einfach.
Aber nun kommen die Probleme.
»Dieser Klassist« ist nicht so eingängig wie »dieser Rassist«.
Es ist nicht so bekannt und irgendwie denken wir bei Klasse erst einmal an die Schule. Das Wort »Klassist« wird mir von der Rechtschreibkorrektur unterringelt. Da ich die Dudenversion benutze, heißt das, dass es nicht einmal ein offizielles Wort ist.
Wenn das Wort kampagnenfähig sein soll, wir damit also eine Veränderung erreichen wollen, dann muss es erst einmal wesentlich bekannter werden.
Und da bin ich sehr skeptisch. Denn neben der naheliegenden Assoziation mit der Schulklasse verwechselt selbst die Google-Suche Klassismus mit Klassizismus, der kunstgeschichtlichen Epoche.
Hinzu kommt noch die Frage, was wir denn mit »Klasse« genau meinen. Doch dazu später.
Warum sollten wir den Begriff trotzdem verwenden?
Ganz ehrlich? Ich finde, es gibt keinen besseren.
Soziale Ungleichheit bezieht sich nicht konkret auf die finanzielle Lage der Person, sondern kann auch andere Gründe wie Geschlecht, Staatsangehörigkeit oder Behinderung haben.
Wir brauchen also einen Begriff, der ganz konkret diesen Teilaspekt im Auge hat. Er ist auch nötig für ein Verständnis unserer Gesellschaft, statt nur in Mitleid oder der Darstellung von Schwierigkeiten zu bleiben.
Der Begriff »Armutsbetroffen« deckt z.B. sehr gut die Situation von Menschen ab, die mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Damit kann sich diese Gruppe eine Stimme im Diskurs verschaffen. Aber als Arbeitsbegriff, um die gesellschaftlichen Strukturen zu erkennen und dann auch zu verändern, ist er nicht geeignet und auch nicht gedacht.
Mit »Klassismus« haben wir ein Wort, dass auch die 250 Milliardäre in unserem Land in dem System verortet. Wir können also Strukturen sichtbar machen, die sehr wohl etwas miteinander zu tun haben und die wir dann entsprechend verändern können, um möglichst niemand mehr zu haben, der von sich sagen muss, er sei armutsbetroffen.
Was verstehen wir unter »Klasse«?
Der Begriff »Klasse« ist aus der Mode gekommen. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich die Vorstellung einer nivellierten Mittelschicht durch. Durch die Zerstörungen und Vertreibungen, aber auch durch das Lastenausgleichsgesetz war die soziale Ungleichheit tatsächlich auf einem sehr geringen Niveau.
Seit den 1980ern ändert sich das rapide. Mit der Informationstechnologie bildeten sich, wie auch schon in der industriellen Revolution, neue Monopole und Superreiche heraus. Dies wurde nach dem Fall des Kommunismus in den 1990ern und dem Siegeszug des Marktliberalismus beschleunigt.
Dennoch haben wir nicht mehr die klare Teilung in Besitzende und Arbeiterschaft, wie sie von Marx angenommen wurde. Schon Max Weber sah die Menschen durch Leitungsqualifikationen unterschiedlich befähigt, am »Markt« teilzunehmen.. Die einzelnen Gruppen sind in sich ausdifferenziert.
Verschiedene Theorien haben seitdem versucht, unsere Gesellschaft zu beschreiben.
Die wohl bekannteste Aufgliederung der Bevölkerung, die aus der Marktforschung kommt, sind die Sinusmilieus. Diese liefern nicht nur eine Aufteilung in Arm und Reich, sondern arbeiten auch mit der Grundorientierung der Menschen, die dabei von Tradition bis Neuorientierung geht. (Vgl. 3 , S. 55).
Soziologisch relevanter ist die Aufteilung in soziale Lagen. »Das Konzept sozialer Lagen versucht, die Bevölkerung im Hinblick auf ihre konkreten Lebensbedingungen in verschiedene Gruppen einzuteilen. Im Unterschied zu eindimensionalen Modellen der Einkommensschichtung berücksichten soziale Lagen neben dem Einkommen weitere Lebenslagen – wie die Erwerbssituation, die Haushalts- und Lebensform oder subjektive Indikatoren der Lebensqualität. (vgl. 3, S. 55.) dadurch entsteht eine sehr differenzierte Aufteilung in verschiedene Stufen von Wohlstand bzw. Armut.
Doch um eine klare Sicht auf das zentrale Problem zu bekommen, um das es hier gehen soll, ist so eine kleinteilige Aufschlüsselung eher hinderlich. Um in die Veränderung zu kommen, muss eine andere Technik her.
Deshalb möchte ich der Definition von Marlen Hobrack aus dem Buch Klassismus (1) folgen: der Einteilung in Besitzende, die für den Großteil ihres Einkommens nicht arbeiten müssen und jenen, die auf ihre Arbeitskraft oder Sozialleistungen angewiesen sind. Das ist auch die entscheidende Trennlinie, anhand sich das ganze Problem darstellt.
Die Politik arbeitet sich meistens im Mittelbau unserer Gesellschaft ab. Es geht aber nicht darum, dass eine erfolgreiche Rechtsanwältin, die sich zur Alterssicherung einige Wohnungen angeschafft hat, ihren hart erarbeiten Wohlstand nicht genießen soll. Sondern darum, dass Menschen, die seit Generationen Reichtum durch geschickte Erbschaften und das Vermeiden von Steuern anhäufen, dennoch einen angemessenen Anteil am Funktionieren dieser Gesellschaft übernehmen müssen. Im Verhältnis zur genannten Rechtsanwältin müssen diese nämlich wesentlich weniger Steuern auf ihre Einnahmen bezahlen.
Einkommen aus Geldanlagen wird mit 25 Prozent Pauschalsteuer abgegolten, was man durch geschickte Konstruktionen noch deutlich verringern kann. Die Rechtsanwältin muss aber ihre Einnahmen zum Teil mit dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent bzw. 45 Prozent versteueren (5).
Wie oben schon erwähnt, richtet der Begriff »Klasse« sein Augenmerk auf die Einkommens- und Vermögenssituation der Menschen. Eine einzelne Person kann aber natürlich von weiteren Diskriminierungsformen, wie z.B. Rassismus betroffen sein.
Man kann auch die Gesellschaft in andere Ungleichheitsarenen aufteilen. Wie das im Buch »Triggerpunkte (4) « gemacht wurde. Dort wird diese Frage in der Arena »Oben vs. unten« debattiert.
Fassen wir also zusammen: Klasse bezieht sich also auf eine Einteilung der Gesellschaft hauptsächlich entlang der Frage des Besitzes und der Quelle des Einkommens aus Arbeit oder Vermögen.
Diese Unterscheidung finde ich extrem wichtig. Denn dann können wir die ganzen Scheindebatten als solche erkennen.
Wir haben durch die Konzentration auf die »Klasse« die Möglichkeit, die Probleme dieser Diskriminierungsform anzugehen und sie von anderen Themen abzugrenzen.
Migration z.B., also die Frage nach dem Innen vs. Außen, hat andere Problemstellungen als die Klassenfrage. Das Gegeneinanderausspielen zweier Akteure aus derselben Klasse, nämlich derjenigen, die sich mit ihrer Arbeitskraft versorgen muss, lenkt dann nicht mehr von der eigentlichen Problematik ab, dass der Ertrag dieser Arbeitskraft bei denen landet, die dafür nicht arbeiten müssen.
Stattdessen kann man sich den eigentlichen Fragen der Migration widmen wie der nach einer gelingenden Integration, den Fluchtursachen und dem demographischen Wandel, d.h. wie viel Migration eine alternde Gesellschaft benötigt.
Und jetzt?
Klassismus somit ist die Diskriminierung oder Abwertung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Klasse.
Nun haben wir also einen passenden Begriff, der die gesellschaftliche Realität abbildet.
Reicht uns das?
Natürlich nicht. Aber er hilft uns, aus dem Therapiesetting, zu dem viele Diskussionsrunden und Internetdiskurse mutieren, wieder auszusteigen. Es ist für die Betroffenen wichtig, gehört zu werden und ihre Situation darstellen zu können. Nur darf das nicht das Ende der Geschichte sein.
Und für die, die nicht armutsbetroffen sind, reicht es nicht, nur die eigenen Privilegien zu checken und dann nichts tun.
Wie oft finden wir in Internetbeiträgen die Selbstdarstellung als reflektierende Person, die sich darüber klar ist, wie gut sie es doch hat, nicht behindert, Ausländerin oder krank zu sein. Das ist der erste Schritt. Aber wenn ich meine Privilegien nur genieße, aber nichts daraus mache, dann bringt das außer einem moralischen Gewinn für mein Ego nichts.
Was also tun?
- Dinge klar benennen.
- Schauen, wo das Geld hingeht und das ankreiden. Politisch aktiv werden, statt Instaposts in der eigenen Bubble zu schreiben.
- Auf die Straße gehen.
- Mit Menschen diskutieren, die eine andere Meinung haben.
- Rechte Narrative nicht weiter teilen. Auch nicht kritisch oder als abschreckendes Beispiel. Denn wenn du einen rechten Beitrag teilst oder kommentierst, und sei nur, um die Lüge darin richtigzustellen, dann erhöhst du die Reichweite und machst die Position durch das Wiederholen bekannter und damit leider auch akzeptabler. (vgl. 1)
Gehen wir also raus aus dem »flachen Debattengewässer« ( 2) auf die Straße.
Das gedankliche Rüstzeug haben wir ja jetzt.
Wenn du du dich mit dem Thema etwas spannender auseinandersetzen willst, dann lies doch „Das Frühlingsfenster„. Hier prallen die Klassen in einem packenden Urban-Fantasy-Thriller aufeinander.
Literatur
- Hobrack, Marlen: Klassismus, Reclam 100 Seiten
- Knobloch, Marlene: serious shit, dtv
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Nr. 354 1/2023: Soziale Ungleichheit
- Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte, edition suhrkamp
- Der Beginn des Spitzensteuersatzes von 42 Prozent wurde für 2023 von 58.597 Euro auf 62.810 Euro angehoben, ab 2024 wird er erst ab einem Jahreseinkommen von 66.761 Euro erhoben. Der sogenannte Reichensteuersatz von 45 Prozent gilt unverändert ab einem Einkommen von 277.826 Euro. Quelle: BMF
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